Hallo Bücherfreund*innen und Teeliebhaber*innen,
2023 war für mich zwar ein stressiges und bewegtes, aber glücklicherweise auch ein lesereiches Jahr. Mit insgesamt 91 Büchern habe ich weniger gelesen als noch in 2022 (150 ist aber eine absurde Zahl). Dafür habe ich a) mein Leseziel von 77 damit trotzdem mehr als geknackt, b) in ein neues Genre (falls man es als solches bezeichnen kann) gefunden, für das ich mir von Natur aus einfach mehr Zeit nehmen muss und möchte.

Dabei handelt es sich um Klassiker. Ich hatte das Ziel, mindestens 12 davon gelesen und letztlich sind es 31 geworden. Geholfen hat mir dabei auch, dass ich im Laufe des Jahres eine Begeisterung für Theaterbesuche entwickelt habe; und da dort natürlich oft klassische Stoffe verarbeitet werden, hat mir das den Einstieg in so manches Werk, so manche*n Schriftsteller*in, erleichtert.

Ein gutes Beispiel wäre hier Heinrich von Kleist, insbesondere mit dem Stück Das Käthchen von Heilbronn. Ich hätte nie gedacht, dass ich innerhalb weniger Wochen mehrere Bücher gerade dieses Autors, von dem ich zuvor wenig mehr als den Namen kannte, ansammeln würde. Zugegeben, einige davon liegen noch ungelesen auf dem Stapel ungelesener Bücher. Vier (wobei manche auch mehrere Werke beinhalten) habe ich aber doch gelesen, und so wurde der liebe Herr tatsächlich mein meistgelesener Autor des Jahres. Obwohl er nicht direkt einfach oder verständlich schreibt, liebe ich diesen Stil, der sich definitiv nicht vor Schachtelsätzen scheut, und es mit der Grammatik auch nicht immer so genau nimmt, wenn ein anderer Kasus eben gerade besser klingt. Um die Bezüge innerhalb eines Satzes zu verstehen, muss man ihn meist zwangsläufig interpretieren, und merkt so, wie meisterhaft der Text eigentlich ist.

Das Frauenbild ist bei Kleist aber doch manchmal etwas kritisch. Umso mehr freue ich mich, letztes Jahr auch Kein Ort. Nirgends gelesen zu haben. Die kaum mehr als hundertseitige Erzählung war mein erstes und bisher auch einziges Werk von Christa Wolf, und hat in mir eine Faszination für ihren Erzählstil, sowie ihre Inhalte geweckt. Dieses Buch nämlich dreht sich um eine fiktive Begegnung von – Überraschung – Kleist und der Schriftstellerin Karoline von Günderrode (von der ich bis dato übrigens noch nie gehört hatte, und deren Dichtungen ich unbedingt noch kennenlernen will). Die Geschichte ist verwirrend; es ist auch hier schwer, alles zu verstehen, was Christa Wolf schreibt, allerdings auf eine eigene Art. Ich könnte (und hoffentlich werde) Kein Ort. Nirgends noch ein-, zwei-, drei-, viermal lesen, und wohl doch nicht alles verstehen. Aber das muss ja auch nicht schlimm sein. Denn während die Erzählung einerseits einen spannenden Einblick in die (fiktionalisierten) Persönlichkeiten dieser Autor*innen gewährt, der sich auch kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen weiß, ging der Text auch mir als Leser*in sehr nahe. Teilweise habe ich mich zutiefst verstanden gefühlt, teilweise Sätze noch tagelang, oder bis zu diesem Moment, im Kopf gehalten. Ich habe beinahe jedes Wort unterstrichen oder markiert. Alles in allem nicht nur ein Jahreshighlight, sondern auch ein neues Lieblingsbuch.
(Für alle im Umkreis München: Im Residenz- bzw. Cuvilliéstheater gibt es zurzeit eine in meinen Augen wirklich gute Inszenierung von Kleists Das Käthchen von Heilbronn, in die auch Auszüge aus Kein Ort. Nirgends integriert sind.)

Bevor ich mit meinem pseudointellektuellen Klassikergeschwafel aufhöre, will ich noch ein weiteres Fünf-Teetassen-Buch des vergangenen Jahres nennen. Neben The Tenant of Wildfell Hall von Anne Brontë und Wuthering Heights von Emily Brontë, habe ich mit Jane Eyre nämlich auch mein erstes Schriftstück von Charlotte Brontë gelesen und sehr geliebt. Es ist ein Roman, der von tiefem Glauben in Moral und die eigene Mündigkeit, von Standhaftigkeit erzählt, auch wenn diese stark in der Religion verankert ist. Ausdrucksstarke Figuren, allen voran natürlich Jane, ein einnehmender Schreibstil – was will man mehr?

Aber keine Sorge, ich habe natürlich meine Liebe für Fantasy nicht vergessen. Immerhin habe ich nicht nur von Kleist, sondern auch von Rick Riordan vier Bücher gelesen. Dabei hat es der neu erschienene Band aus dem Percy Jackson-Universum, The Sun and the Star in meine Highlights, und – wieder – in die Liste meiner absoluten Lieblingsbücher geschafft. Hier erzählt Rick Riordan gemeinsam mit Mark Oshiro ein Abenteuer, das Nico und Will, die wir ja bereits aus vergangenen Büchern kennen, zusammen erleben. Wie bei vielen Leser*innen gehört Nico di Angelo zu meinen liebsten (und auch zu den leidgeprüftesten) Figuren. Seine eigene Geschichte zu lesen, konnte also nur gutgehen. Zwar habe ich auch gehört, dass der Roman nicht alle Fans begeistern konnte, ich habe mich aber so gut aufgehoben gefühlt, so eine gute Zeit mit diesen liebenswerten und vielschichtigen Charakteren, ihren Abenteuern und persönlichen Konflikten (und deren Lösungen) gehabt, dass ich The Sun and the Star nur lieben kann.

Um gleich bei der griechischen Mythologie zu bleiben: Ich liebe feministische Neuerzählungen derselben (ein Schock nach dem letzten Jahresrückblick, ich weiß), und besonders die Frau des Königs Agamemnon, Klytämnestra, hat es mir da angetan. Kein Wunder also, dass mir der gleichnamige Roman (bzw. auf Englisch Clytemnestra) von Constanza Casati mehr als gefallen hat. Auf fast 500 Seiten nimmt uns die Autorin hier durch Klytämnestras Leben mit, und obwohl dessen letzte Jahre natürlich die bekanntesten, die zunächst einmal eindrucksvollsten sind, habe ich an diesem Buch vor allem geliebt, wie die die Kindheit und Jugend der Protagonistin ausgestaltet werden. Denn Klytemnästras Misshandlung durch Agamemnon fängt hier nicht erst bei der Ermordung ihrer Tochter, sondern schon viel früher an … Das hat die Entwicklung, die die Hauptfigur durchlebt, nur noch eindrucksvoller und emotionaler gemacht (ich habe am Badesee zu heulen begonnen, okay?).

Meine drittmeistgelesene Autorin des Jahres war dann Christelle Dabos. Von ihr habe ich 2023 nämlich die letzten drei Bände der Spiegelreisenden-Reihe gelesen. Leider fand ich Teil drei und vier eher enttäuschend; das lag aber vor allem daran, dass der zweite, Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast, so absolut überragend war. Die Geschichte ist bunt und einnehmend, spannend und mysteriös, quirlig und prächtig, wortgewaltig und gemütlich. Ich hab’s geliebt.


So, das waren jetzt mal ein paar Highlights. Natürlich war das aber nicht alles, was ich an guten bis ziemlich guten, bis richtiggehend genialen Büchern gelesen habe. Daher kommt hier nur wie im Jahr davor eine Liste an „Honorable Mentions“, die zwar nicht die Fünf-Teetassen-Marke geknackt haben, die aber doch mein Herz für sich gewinnen konnten:

  • Good Omens von Terry Pratchett und Neil Gaiman: Ein Engel und ein Dämon, eine Apokalypse, Humor und Kreativität wie kaum anderswo. (Genau genommen hat dieses Buch definitiv alle irgendwie auffindbaren Teetassen erhalten. Es war allerdings ein Reread, daher möchte ich es nicht direkt zu den Highlights des letzten Jahres zählen.)
  • Der Distelfink und Die geheime Geschichte von Donna Tartt: Ja, auch ich bin dieser Autorin verfallen. Mitreißend, nahbar, moralisch verworren, faszinierend und so einiges mehr. Dieses Jahr kommt definitiv ihr dritter Roman, Der kleine Freund, an die Reihe!
  • The Poet X von Elizabeth Acevedo: Ein lyrisches Jugendbuch voll Inbrunst und Echtheit, das sich schnell weglesen lässt, und doch bleibt.
  • Hand in Hand with Love: An Anthology of Queer Classic Poetry, zusammengestellt von Simon Avery: Eine Sammlung starker, bewegender, vielfältiger Gedichte über die Zeiten hinweg. Obwohl ich in die Welt der Gedichte erst noch hineinfinden muss, haben mich diese hier zum großen Teil mitgenommen und berührt.
  • Die Verwandlung von Franz Kafka: Ja, ich hab’s für die Schule gelesen. Ich hab’s trotzdem geliebt. Toller Schreibstil, so viele (Mit-)Gefühl. Ich werde auf jeden Fall mehr von Kafka lesen!
  • Bloodmarked von Tracy Deonn (Legendborn #2): Ein starker zweiter Band, der den ersten in meinen Augen sogar noch übertroffen hat. Große, große Liebe für die action-, wie emotionsgeladene Jugendbuchfantasyreihe über die Nachfahr*innen der Ritter der Tafelrunde.
  • Der Nachtzirkus von Erin Morgenstern: Ihr wollt, dass euch ein Buch komplett in seine Welt hineinkatapultiert? Dann lest das hier. Ich habe es schon so oft gehört, kann es aber nur wiederholen: Erin Morgenstern schreibt unvergleichlich atmosphärisch. Handlung und Figuren stehen zwar eher im Hintergrund, erzeugen aber doch Spannung und verleihen der Geschichte noch mehr Charakter als sie sowieso schon besitzt.
  • Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sybille Mertens von Angela Steidele: Eine Liebe zwischen zwei Frauen hat auch im 19. Jahrhundert schon existiert, Überraschung. Was mich aber tatsächlich überrascht hat, ist, dass sie sich rekonstruieren lässt, und dass sie im Rahmen eines Sachbuchs so fühlbar werden kann.
  • Pet von Akwaeke Emezi: Ein so kurzes wie berührendes Buch über einen utopischen Safe Space, der vielleicht doch nicht so perfekt ist, und wieso es sich dennoch für einen zu kämpfen lohnt.
  • The Importance of Being Earnest von Oscar Wilde: Ich liebe den Typen einfach, okay?!

Maaaannnn, ich könnte noch 20 weitere Titel aufzählen, denn 2023 war eben echt ein gutes Lesejahr. Aber irgendwann wird es dann doch ein weeenig zu viel. Tut mir leid.

Ein frohes neues Jahr euch allen und viel Spaß beim Lesen und beim Teekonsum!


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