Lenis Buchblog

„Muss ich das gelesen haben?“ von Teresa Reichl

Rezensionsexemplar

Hallo Bücherfreund*innen und Teeliebhaber*innen,
wenn wir an Klassiker, an deutsche Literatur denken, was kommt uns dann zuallererst in den Sinn? Welche Bücher, welche Schriftsteller*innen? Als Schüler*in eines bayerischen Gymnasiums wären das bei mir wohl Goethe, Schiller, … vielleicht noch Lessing, immerhin hat der ja auch eine Straße in Monopoly. Faust, Die Räuber, Iphigenie auf Tauris, Maria Stuart, … Das sind die Werke, die wir, beziehungsweise meine Parallelkurse, bisher so in der Oberstufe gelesen haben. Merkt man was?

Vielleicht, dass die Diskussionen, die wir über Jahre hinweg mit verschiedenen Deutschlehrkräften geführt haben, nicht so wirklich zu was geführt haben. Der Wunsch, vielleicht mal etwas, ein kleines Stück diverser, also möglicherweise auch mal was von einer Frau (gasp) zu lesen, ist scheinbar nicht so einfach zu erfüllen. Vielleicht noch in der Unter- oder Mittelstufe – da bin ich den jeweiligen Lehrerinnen sehr dankbar -, wo man ja noch keine „richtigen Klassiker“ liest, aber jetzt, in der Oberstufe, da geht das eben nicht. Faust I steht nunmal (noch) im bayerischen Lehrplan und wenn wir Werke aus dem Sturm und Drang oder der Weimarer Klassik lesen müssen, dann gibt es eben keine Alternativen zu Schiller und Goethe.
Wieso das so ist, ob das überhaupt stimmt, warum und wie sich daran, an unserer Definition eines Klassikers und deutscher Literatur, etwas ändern kann und muss, davon erzählt Teresa Reichl in Muss ich das gelesen haben?: Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht – und wie wir das jetzt ändern.


Meine Meinung:

Teresa Reichl spricht mit Muss ich das gelesen haben? vor allem eine Zielgruppe an: Jugendliche, Schüler*innen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es für alle über 18 Jahren nicht mehr geeignet wäre. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich richtet die Autorin das Buch aber eben auf diejenigen aus, die (wenn auch vielleicht wenig enthusiastisch) regelmäßig im Deutschunterricht zu sitzen und über das zu lernen haben, was als deutsche Literatur bekannt ist. Folglich geht das Buch auch immer wieder auf diesen schulischen Kontext ein und was in Bezug darauf verändert werden könnte oder sollte.

Es wird erklärt, was Literatur alles sein kann, und daraus entwickelt sich Kritik an dem limitierten Verständnis, das wir – besonders in der Schule – davon hatten und meistens immer noch haben. Was sind Klassiker und wieso sind es immer die gleichen? Wer legt fest, was deutsche Literatur ist?

Bei der Reflexion über diese Fragen geht Teresa Reichl, zumindest meiner unprofessionellen Wahrnehmung nach, nicht tief ins Literaturwissenschaftliche ein, jedenfalls nicht mithilfe komplexer, wissenschaftlicher Sprache.
Entsprechend der Menschen, an die Muss ich das gelesen haben? gerichtet ist, ist das Buch einfach, umgangssprachlich geschrieben. Jugend- beziehungsweise „Internetsprache“ machen es neben dem Informationsgehalt zu einem humorvoll-unterhaltsamen Werk. Deshalb hat es mir wohl auch so gut gefallen, denn eigentlich kann ich mit Sachbüchern eher weniger anfangen, besonders nicht, wenn mein Kopf durch Schule und co. schon völlig Matsch ist. Doch dieses Buch lässt sich leicht (und ohne Lexikon) lesen, ist kurzweilig und interessant. Lieben wir.

Besonders dass, wie Teresa Reichl ihre eigene Meinung zu gewissen Werken und Autor*innen darstellt, mochte ich sehr. Humorvoll-emotional wird klargestellt, dass Thomas Mann sicherlich nicht ihr Lieblingsautor und Faust definitiv kein großer Sympathieträger ist.
Noch einmal: Unterhaltsam und gut begründet, nachvollziehbare Kritik, sowie Begeisterung in Bezug auf verschiedene Themen, Autor*innen, Werke.

Außerdem geht die Autorin auch auf das ein, was man eigentlich untervermeidlich zu hören bekommt, wenn man sich im Deutschunterricht meldet und fragt: „Können wir nicht auch mal was von ‘ner Frau lesen?“ – „Da gibt’s halt nix. Die haben früher nicht geschrieben.“
Stimmt das wirklich so ganz? Und auch wenn es das tut, und keine geeigneten Werke existieren, die als Paradebeispiel der Weimarer Klassik gelesen werden können: Wieso? Und wie hängt das mit politisch-gesellschaftlichen Themen zusammen, über die wir heute noch diskutieren?
Auch auf diese Fragen geht Muss ich das gelesen haben? ein. In Bezug darauf hätte ich mir vielleicht noch etwas mehr Tiefe gewünscht. Vieles war mir bereits bekannt und ich hätte somit nichts dagegen gehabt, wenn intensiver auf Geschichte und Gesellschaft eingegangen worden wäre. Ich kann aber auch gut verstehen, wieso das nicht in dem Maße der Fall ist. Denn dieses Buch gibt eher einen Überblick über verschiedene Thematiken und (wissenschaftliche) Gebiete, die Einfluss auf Literatur und unser Bild davon haben. Vieles wird behandelt, beinahe aufgezählt, was bei mir das Interesse geweckt hat, mich in Zukunft genauer mit Einigem davon auseinanderzusetzen.

Vor allem ist Muss ich das gelesen haben? aber ein Buch über Alternativen. Denn – Überraschung – es gibt eben doch Werke von Frauen, von BiPoC, von queeren Menschen, und, und, und – heute und auch in der Vergangenheit. Nur sind das selten die, die in der Schule (oder auch in der Uni) gelesen werden; die wir als Klassiker abgespeichert haben.
Um daran etwas zu ändern, stellt dieses Buch Werke verschiedenster Art von verschiedensten Menschen vor. Es wird beschrieben, was es zu lesen gibt und wieso es (mehr) gelesen werden sollte. Das ist zwar etwas gemein, weil mein Bücherkauf-Budget sowieso schon ziemlich ausgeschöpft ist, aber naja, dann wird meine Wunschliste eben noch um ein, zwei, drei, siebenunddreißig Bücher länger. Was will man machen?

Mein Fazit:

Muss ich das gelesen haben?: Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht – und wie wir das jetzt ändern konnte mich unterhalten, Dinge aufzeigen und erklären. Ich habe Empfehlungen gesammelt und damit auch die Motivation, mehr Klassiker zu lesen – und mir wurde klargemacht, dass dieser Vorsatz eben nicht heißen muss, Goethes Gesamtwerk zu kennen.
Das Buch hat meine Liebe für die Literatur natürlich nur noch mehr angefacht, und gleichzeitig ist es auch – oder gerade – für diejenigen geeignet, die damit noch nicht so viel anfangen können. Vielleicht kein Must-Read, aber für alle Interessierten definitiv eine Empfehlung.


Informationen zum Buch:

zum Buch

Titel: Muss ich das gelesen haben?: Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht – und wie wir das jetzt ändern

Autor*in: Teresa Reichl

Verlag: Haymon Verlag

Erschienen: 16.03.2023

ISBN: 9783709981764

Preis: 17,90 € (Hardcover) / 14,99 € (E-Book)

Seitenzahl: 230

Meine Altersempfehlung: ab 13/14 Jahre


Disclaimer:

Die Rechte am abgebildeten Buchcover liegen beim Verlag.

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  1. Ich will in erster Linie Kritik üben, aber auch betonen, dass ich Teresa Reichls Aussage, dass es in den Bücherregalen und auf den Literaturlisten in der Schule zu wenig Bücher von Schriftstellerinnen, Sinti*zze und Rom*nja, behinderten Autor*innen, queere Autor*innen gibt, unterstütze. Ihre Arbeitsweise empfinde ich jedoch zum Teil als sehr oberflächlich und diskriminierend, wenn ich auf jeder zweiten Seite etwas über die ›alten weißen Männer‹ lese. Zum einen geht mir das auf die Nerven, es ist rassistisch, diskriminierend und zum anderen ist die Welt so einfach nun doch nicht zu erklären! Sie behauptet, »das ist die kollektive Schuld der weißen cis Männer.« (S. 9), »dass alle Frauen und alle FLINTA+-Personen … vom Schreiben, Veröffentlichen und Gelesenwerden abgehalten wurden und werden.« (S. 9). Also tut mir Leid, diese Behauptung ist unhistorisch, unpolitisch und völlig absurd.
    Ähnlich platt argumentiert Teresa Reichl auch bei dem sog. Kanon der Literatur, der in der Schule zu lesen sei. Sie betont selber, dass es diesen Kanon eigentlich nicht gibt, das ist richtig, denn die einzelnen Bundesländer haben Kulturhoheit und können auf Vorschläge der KultusMinisterKonferenz (KMK) selbstständig entscheiden, was in der Schule gelesen werden sollte, immer unter der Maßgabe, dass das Abitur vergleichbar sein muss. Daher stellt Teresa Reichl die Frage: »Wer hat den (Schulkanon) gemacht?«(S. 53). Die Antwort kennen wir schon: »Weiße cis Männer!« Und hier liegt sie völlig falsch!
    Alle 16 Bundesländer sind auf der KMK vertreten durch ihr Ministerium für Schule und Bildung (Bezeichnung variiert je nach Bundesland), zur Zeit sind es 13 Frauen, die darüber diskutierten und entscheiden, welche Literatur in der Schule gelesen werden sollte. Und als Ergänzung: Bettina Stark-Watzinger ist Bundesministerin für Bildung und Forschung. Das meine ich, wenn ich sage, Terea Reichl ist oberflächlich, sie macht es sich zu einfach.
    Meine ausführliche Rezension ist bald zu lesen unter: https://mittelhaus.com/

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