Hallo Bücherfreund*innen und Teeliebhaber*innen,
ich würde Dystopien nun eigentlich nicht zu meinen liebsten Genres zählen, ein paar Ausnahmen gibt es da aber doch. Beispielsweise konnte Ophelia Scale sich bereits einen Platz in meinem Leser*innenherzen ergattern. Deshalb habe ich mich vor Kurzem mal wieder an einen dystopisch-fantastischen Roman rangewagt, a) weil die Prämisse wirklich interessant klingt und b) dank einer Empfehlung der hochverehrten JohannaGemma von Charlotte Richter.


Klappentext:

Glück ist Leben. Glück ist Macht. Glück ist alles. Ohne Glück bist du tot.

Die sechzehnjährige Gemma lebt in einer Welt, in der Glück lebensnotwendig ist. Jedem, der nicht glücklich ist, droht nach wenigen Stunden der Tod. Nach ihrer Aufnahmeprüfung in der Akademie, in der junge Menschen lernen, positive Gefühle künstlich zu erzeugen, hat Gemma nur ein Ziel: Sie muss ihren Vater heilen, bevor dessen Glückspegel noch weiter sinkt und er vor Kummer sterben wird.

Doch hier, inmitten all der dauerlächelnden Menschen, zieht es Gemma ausgerechnet zu Keno. Er ist ein Grenzgänger und will sich dem Glückszwang entziehen. Er liebt die Existenz am Limit, wandelt zwischen Glück und Trauer, Leben und Tod. Entschlossen versucht Gemma, am Glück festzuhalten – doch ihre Überzeugung bröckelt immer weiter. An Kenos Seite lernt Gemma, was wahre Gefühle bedeuten … und was die Menschen aufgeben, wenn sie das Glück über alles stellen. (Quelle: https://www.arena-verlag.de)


Meine Meinung:

Das Thema des erzwungenen Glücks, eng verbunden mit dem der Selbstoptimierung (denn mit positivem Mindset schaffen wir alles, nicht wahr?) ja in unserer Gesellschaft ziemlich aktuell, ganz besonders auf Social Media. Vor allem in der Schule trifft man – oder zumindest ich – allerdings ebenso oft auf diese Ansicht, nach der ein erfolgreiches, gutes Leben nur durch Disziplin und damit dem Beiseiteschieben negativer Emotionen erreicht werden kann.
Was aus dieser Einstellung werden könnte, wenn sie gesamtgesellschaftlich auf die Spitze getrieben wird, das erzählt Charlotte Richter in Gemmas Geschichte und das in meinem Augen sehr gelungen.

Was man nicht erwarten sollte, ist ein tief-philosophischer Aufsatz über das Thema. Dennoch finde ich, beschreibt die Autorin die Problematik, die mit diesem Zwang glücklich zu sein und dem Unterdrücken alles anderem verbunden sind, hier sehr gut. Besonders hat mich aber begeistert, dass die Sache eben immer noch Teil einer Geschichte ist. So sind die beschriebenen Gedanken und Kritik verbunden mit einer einer spannenden Handlung und interessanten Charakteren – alles in perfekter Jugendbuchmanier (was auch immer das heißen soll).

Dabei geht es natürlich vor allem um Gemma (gut, dass ich das nochmal erwähnt habe). Sie als Protagonistin ist mir sehr schnell sympathisch geworden. Ich muss zwar sagen, dass sie vielleicht noch etwas mehr Charakteristika hätte haben können, nachdem es teilweise so wirkt, als definiere sich ihre Figur vor allem dadurch, dass sie die ihr Nahestehenden retten möchte, aber naja … andererseits ist das auch ein Charaktermerkmal.
Vor allem aber ist Gemma keine Hauptperson, die so viel besser und schlauer ist als alle anderen (wie man das ja besonders aus der ein oder anderen Dystopie kennt …). Stattdessen ist sie an das System angepasst, will angepasst sein. Das macht sie nicht nur authentisch, sondern legt vor allem den Grundstein für eine Charakterentwicklung.

Dabei fand ich vor allem den Einfluss anderer auf ihre Handlungen und Einstellung interessant, denn immerhin sind es Menschen wie Keno, die sie überhaupt erst zum Umdenken bringen – oder den Anstoß dazu geben. Gemma ist nämlich besonders anfangs noch eine ziemlich naive Person – und obwohl wir natürlich alle ausgefuchste, mächtige Charaktere à la Kaz Brekker oder Jude Duarte lieben, ist das hier angenehm realistisch zu lesen. Denn glücklicherweise steckt in Gemma keine rückgratlose Mitläuferin, sondern vor allem einiges an Entschlossenheit und Mut, um für ihre Prinzipien und, wie erwähnt, besonders ihre Lieben einzustehen.

Dabei ist es vermutlich kein Spoiler, dass sich auch Keno irgendwann zu einem dieser Lieben entwickelt. Bei ihm handelt es sich, wie ich finde, ebenfalls um einen sympathischen Charakter, der definitiv etwas zur Story beiträgt. Allerdings hatte ich auch hier das Gefühl, etwas mehr Tiefe hätte nicht geschadet. Denn obwohl Keno in meinen Augen wirklich Potential hat, durchläuft er im Gegensatz zu Gemma keine Entwicklung. Letztlich hatte ich bei ihm nie das Gefühl, ihn als Charakter wirklich greifen zu können.
Das wirkt sich dann wiederum auch auf die Liebesgeschichte aus. Dabei hat mich die auf jeden Fall nicht genervt, was ja schonmal gut ist. Da besteht bei Lovestorys nämlich immer eine gewisse Gefahr … Ich habe Gemma und Keno hier also irgendwo zusammen sehen können, nur passiert alles etwas schnell und wirkt eher oberflächlich. Eine große Emotionalität hat sich bei mir also nicht einstellen können, was die Beziehung der beiden angeht. Trotzdem ist das Ganze recht süß und dadurch, dass sich die Liebesgeschichte zum Glück nicht in den Vordergrund drängt, stört sie eben auch nicht.

So liegt der Fokus auf Handlung und Weltenaufbau. Zu beidem habe ich vor allem Positives zu sagen, fangen wir aber erstmal mit der Welt an, denn immerhin steckt in ihr die Grundlage des Ganzen.
Gemma spielt circa 80 Jahre in der Zukunft, und obwohl sich natürlich einiges geändert hat, fällt es nicht schwer, sich in dieser futuristischen Gesellschaft zurechtzufinden. Besonders eine Technik ist es allerdings, die charakteristisch für diese Welt ist, und die auch die Geschichte des Buches bestimmt. Durch den Prozess der Modulation ist es nämlich – wenn sie funktioniert – möglich, die Gefühlswelt anderer Menschen zu beeinflussen, beziehungsweise zu optimieren. Hierbei steigt auch Gemma als Schülerin der Akademie in die Träume anderer Menschen ein.
Diese Idee ist wirklich spannend und wird verständlich beschrieben. Doch obwohl ich besagten Aspekt des Buches erst einmal sehr gut fand, wird es dann doch etwas viel. Ich hatte irgendwann ein wenig das Gefühl, die Handlung würde sich nur noch aus Modulationen zusammensetzen. So ziehen sich Teile der Story etwas.

Davon abgesehen, ist Gemma allerdings ein ziemlich spannendes, packendes Buch. Ich habe das Ganze zwar vor allem deshalb in gut 24 Stunden durchgesuchtet, weil ich meine Lesechallenge für 2022 noch beenden musste (wurde etwas knapp, hat aber noch geklappt), Gemmas Geschichte hat mir mein Vorhaben aber sicherlich nicht erschwert. Ich bin mir eher unsicher, ob man das die Handlung als schnell voranschreitend beschreiben kann, angefühlt hat es sich aber definitiv so.

Mein Fazit:

Gemma – Sei glücklich oder stirb von Charlotte Richter ist auf jeden Fall eine Empfehlung: Für Dystopie-Fans, aber auch für diejenigen, die dem Genre vielleicht nicht so viel abgewinnen können; für diejenigen, die mal wieder in eine fesselnde Geschichte eintauchen wollen, aber auch für dann, wenn ihr gerade nach einem kurzweiligen Buch für eine stressige Zeit sucht.


Informationen zum Buch:

Titel: Gemma – Sei glücklich oder stirb

Autor*in: Charlotte Richter

Verlag: Arena

Erschienen: 29. April 2021

ISBN: 9783401605432

Preis: 18,00 € (Hardcover); 13,99 € (E-Book)

Seitenzahl: 464

Meine Altersempfehlung: ab 13 Jahre


Disclaimer:

Die Rechte am abgebildeten Buchcover liegen beim Verlag.